jesus.X.buddha

Die Tagespost, 30.01.2003
ÖKUMENE LIGHT
Ein Experiment mit zwei Ungleichen: Das Theaterstück jesus.X.buddha in Berlin

von Max-Peter Heyne

Abseits der großen Bühnen, in einem der so genannten Off-Theater Berlins, fand am vergangenen Wochenende eine Premiere statt, deren bloße Ankündigung bereits Anlass zur Neugier - und Skepsis - gab. Ein Stück, das „den Lehren und biographischen Spuren" von Jesus und Buddha folgt, wobei durchgehend „Original-Zitate aus dem Alten und Neuen Testament und dem Palikanon, den überlieferten Reden Buddhas, verwendet werden. Der etwas kryptische Titel „jesus.X.buddha" entpuppte sich erfreulicherweise nicht als Verweis auf eine ersonnene, fiktive Begegnung zwischen den beiden Religionsstiftern; das „X" soll lediglich an das christliche Kreuzsymbol erinnern. An der Kon-struktion einer Wettbewerbssituation zwischen den Religionen war der Autor und Regisseur Harald Alexander Korp (41) nicht interessiert. Dazu, so bekennt der ehemalige Student der Philosophie und Religionswissenschaft, habe er zuviel Ehrfurcht vor den Texten, „die doch immerhin heilige Schriften sind", wie er betont. Denn Korp geht es in erster Linie um die „Poesie der Texte, deren Schönheit und Rätselhaftigkeit", die „Bilder, Parabeln und Worte, deren Tiefe berühren, aber auch verstören", wie er sagt.

Wer also ein spektakuläres, gar skandalträchtiges Zerhackstücken der verwendeten Quellen aufgrund einer wie auch immer gearteten, subjektiven Interpretation des Autors befürchtete, wurde von diesem Theaterabend aufs Angenehmste enttäuscht. Korp provoziert zwar a priori durch die parallele Gegenüberstellung der vor allem ihrer Herkunft nach so unterschiedlichen Religionsstifter sowie der Auswahl und Entkontextualisierung der zitierten Texte. Das lässt dem Zuschauer die Option, sich auch bei geringen Kenntnissen der Originaltexte auf das Gesprochene zu konzentrieren und sich der In-szenierung anzuvertrauen. Der komplexe, poetische Gehalt mancher Passagen, deren symbolisch-abstrakte Darstellung sowie der dauernde Rollen-wechsel zwischen den Schauspielern sind nach Korps Auffassung wohl nicht zu Unrecht ausreichend große Herausforderungen für das Publikum. Christliche Vorprägungen und Bibelkenntnisse wecken Antizipationen und erlauben den Zuschauern, „Sinn-zusammenhänge" herzustellen bzw. dass sie „noch mitgehen können", so Korp.

Wesentliche Teile der Lebens- und Wirkungsgeschichte von Jesus und Buddha sind das inszenatorische Gerüst für insgesamt etwa 24 kleinen Szenen, die jeweils zu zweit thematisch gruppiert sind. Die Titel dieser 12 Kapitel, z.B. „Entstehung", „Krieg und Zorn", „Liebe" oder „Auferstehung und Erlöschung" werden während der Aufführung auf eine Stoffbahn bzw. Scheibe projeziert. Wie der chronologische Handlungsaufbau dient auch dieses Element der Orientierung der Zuschauer, die sich nicht im Dickicht subjektiv ausgewählter heiliger Verse und poetischer Gleichnisse verlieren sollen. So wechseln Szenen, die wichtige Stationen aus dem Leben Jesu und Buddhas theatergemäß veräußerlichen (z.B. zu „Berufung": Jesu Begegnung mit Johannes dem Täufer, Buddhas Erleuchtung) mit solchen, in denen zentrale christliche und buddhistische Lehren und Gebote - und sogar Gebete - im Mittelpunkt stehen (wann wurde zuletzt auf einer Bühne gebetet?).

Die Inszenierung macht indes wenig Unterschied zwischen „reinen" Spielszenen und Szenen „lyrischen" bzw. „predigenden" Inhalts: Gespielt wird beides mit einer meist sparsamen, akzentuierten Gestik, die dem metaphysischen Charakter der gesprochenen Texte Raum und Zeit lässt. Neben gelungenen inszenatorischen Einfällen sorgt vor allem die Art und Weise wie die Schauspieler und Schauspielerinnen vortragen für konterkarierende Einflüsse. Nicht zuletzt, um den Charakter einer Lehrstunde oder Predigt zu vermeiden, werden ge-rade die bekannteren Verse, Gleichnisse und Erzählungen neu und umbetont, absichtlich bana-lisiert oder dramatisiert und damit verfremdet. Der permanente Rollenwechsel der Akteure von Haupt- zu Nebenfiguren, von Verkündern zu Jüngern, wirkt insgesamt unproblematisch, da das überzeugende, vierköpfige Ensemble (zwei Männer, zwei Frauen) vorzüglich miteinander harmoniert und sich ideal ergänzt.

Auch Jesus und Buddha ergeben in Korps szenischer Umsetzung der Originaltexte keine Antipoden, die Zitate ergeben keinen konfliktreichen Gegensatz, den Harald-Alexander Korp auch nicht „mutwillig schüren" wollte. Bei aller Unterschiedlichkeit der Biografien, der Frage nach Erlösung des Menschen und der grundsätzlichen Auffassungen über Dies- und Jenseits erkennt Korp viele Gemeinsamkeiten in den Lehren und Botschaften der beiden, wohingegen sich offenkundig widersprechende Aussagen nach seiner Meinung spärlich gesät sind. Eine Gewichtung der gegenüber gestellten Aussagen zugunsten EINER der Religionen oder gar EINER Auslegung dieser Religionen wollte er explizit vermeiden. Der Zu-schauer soll selbst darüber entscheiden, welche der ausgewählten Textauszüge für ihn oder sie eine besondere Bedeutung haben, soll selbst darüber reflektieren, wie wichtige Gebote wie „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" oder „Erkenne Dich in jedem Sein" zu verstehen sind. Insofern sind die inhaltlichen Streitpunkte zwischen Christen und Buddhisten, aber auch den verschiedenen christlichen und buddhistischen Strömungen bei Korp kein Thema. Nur an einer Stelle bringt Korp die so außer-ordentlich heikle religionswissenschaftliche und theologische Problematik der unterschiedlichen Deutung der Quellen ein, indem er drei seiner Darsteller das Vaterunser in drei Varianten gleichzeitig aufsagen lässt: in aramäisch, in der Fassung der deutschen Einheitsübersetzung, in einer strittigen modernen Übersetzung.

Jesus ist für ihn „der Zupackendere, offensivere Charakter", der dem „eher defensiven, auf sich selbst bezogenen Buddha" widerspricht, ihn aber auch ergänzt, meint Korp, der sich mit beiden Religionen intensiv beschäftigt hat. So hat er zwar durch seine Textauswahl die Bedeutung Jesu als einer sozial stark engagierten Persönlichkeit, die in ein ungleich problematischeres politisches Umfeld hineingeboren wurde als der etablierte Buddha, der sich stets mit den Mächtigen arrangieren konnte, klar heraus ge-strichen. Dennoch gab es sogleich Einwände kritischer Zuschauer, sein Stück würde zugunsten einer vermeintlichen Parallelität das Mysterium der Menschwerdung Christi und das damit grundlegend andere Schicksal Jesu relativieren. Ob das mutige Experiment einer vergleichenden Gegenüberstellung von eigentlich Unvergleichlichem gelungen ist und inwieweit die Inszenierung ihren Vorlagen noch gerecht geworden ist, darüber lässt sich insgesamt und im Detail zweifellos trefflich streiten.

Die Theaterbesucher gaben an, zu einer neuen oder intensiveren Beschäftigung mit den heiligen Schriften ermuntert worden zu sein. Damit hat Harald-Alexander Korp sein selbst gestecktes Ziel erreicht.

(Die Tagespost, Katholische Zeitung für Poltik, Gesellschaft und Kultur. 30.1.2003)